Für manche bedeuten sie ein kulturelles Erbe, für andere sind sie nur pittoresk und hyggelig, und noch andere nennen sie Igitt!, obsolet und aus der Zeit gefallen – unsere Märkte. Nicht die Wochen-, Weihnachts- oder Viehmärkte (obwohl alle die gleichen Wurzeln haben), sondern unsere Jahrmärkte bzw. Kirmessen. Und es drängt sich die Frage auf: warum rennen nicht wenige Leute heute noch zu sowas hin?
Georgsmarienhütte hat vier mehr oder minder historische Jahrmärkte: Oeseder Kirmes, Holzhauser Kirmes, Kloster Klipp und – gnadenhalber! – auch noch den Hüttenmarkt. Neuere, zumeist durch die Kaufmannschaft initiierte Events, wie Feuerabend, Schnäppchensonntag, Oktoberfest, Eisbahngaudi, City-Fest etc. müssen bei diesen Zellen außen vorbleiben, denn hier soll nur der „echte“ Rummel betrachtet werden.
Stellvertretend (Sorry, all ihr anderen!) schauen wir dabei auf die „Oeseder Großkirmes“, deren Wirkbezeichnung „Groß…“ aus Zeiten überkommen sein dürfte, als das rurale Landvolk noch zu Fuß oder mit Pferdewagen und später dann mit Fahrrad oder Moped zur ausladendsten Dorfkirmes des Südkreises anreiste.
Kir(ch)messen, Kirchweihen dienten sintemalen dem Handel und Wandel, die Berechtigung dazu wurde durch den Landesherrn verliehen und war somit eine einträgliche Ehrung. Die Oeseder (Groß)Kirmes findet nächstes Jahr angeblich zum 480. Mal statt; bei einem Termin pro Jahr hieße das also, dass diese Vergünstigung seit ungefähr 1550 Bestand hat. Damals wurde Peking von den Mongolen belagert, Karl V. hielt den Reichstag zu Augsburg ab, der neue Papst hieß Julius III und in Europa wurde die Kniebundhose erfunden. Und darum erscheint auch die Oeseder Kirmes: als eine echt historisch begründbare Tradition, in etwa wie die Telgter Wallfahrt, aber die ist mit ihren schlappen 150 Bestandsjahren nur ein junges Wicht dagegen!
Das alles mag zwar interessant sein, erklärt aber immer noch nicht die offensichtlich ungebrochene Faszination, die – nicht nur – der Oeseder Kirmes anhängt. Was dort warenmäßig verkauft wird, gibts im Internet in jeder Ecke, Gourmets finden höchst selten etwas an den Speisetheken, und Bier und Glühwein sind auch nicht gehaltvoller als in der Kneipe – nur teurer. Das schadet aber nichts, etliche infernalisch lärmende Fahrgeschäfte (Fachbezeichnung: Kotzmühlen) scheinen sich ohnehin nur auf das Vorzeigen der Innereien der Fahrgäste spezialisiert zu haben. Und meistens regnet eh zur Oeseder Kirmes!
Was also treibt Mann und Maus, Sack und Pack sowie Kind und Kegel auf diese aufreibenden, altfränkischen „analogen“ Spektakel? Sind diese Menschenaufläufe und Massenabfertigungen heutzutage nicht längst purer Anachronismus ohne jede Spur von Kultur?
Business as usual: teuer – bunt – verrückt
Wenn man/frau dann einige Besucher*Innen nach Gestern und Heute, nach Sinn und Unsinn dieses Events befragt, erhält man/frau ganz verschiedene Antworten. Das geht von Sentimentalitäten, wie ein Lob der spontanen Geselligkeit mit alten lang nicht gesehenen Bekannten, über die fast kindliche Freude über die buntglitzernden Fahrgeschäfte und der faszinierenden Lichterpracht am Abend, bis hin zur allumfassenden Lebensweisheit: „Hier kannst du wieder ein bisschen verrückt sein ohne schlechtes Gewissen; und wenn du die glänzenden Augen deiner Enkel siehst, findest du dich auch selbst – und in deiner Kindheit wieder!“
Andere erinnern sich ebenfalls an frühere Zeiten, als die Bratwurst eine Mark kostete und das Bier 50 Pfennig und wo sich spätestens Montagabend in Oesede lustvoll mit den damals in Osnabrück stationierten, aber regelmäßig zur Kirmes auflaufenden englischen Soldaten, den „Limeys“, gekeilt wurde. „Aber“, bestätigt einer der alten Recken, „mit Saufen und Kloppen ist das Gottseidank anders geworden heutzutage. Prügeleien sind fast vergessen, sooo unmäßig getrunken wird auch nicht mehr, kurz: der Rummel ist heute familientauglicher, und es zählt „Fun“ und nicht wie früher: Adrenalin!“ Und sein Nebenmann fährt fort: „Im Grunde ist das aber doch wie immer: ein teures und ohrenbetäubendes, aber schönes Spektakel, Rummel, Feuerwerk, eine schöne Gewohnheit – und endlich wieder mal was los in Oesede, wenigstens einmal im Jahr!“
Sozusagen: ein altgewohntes, blinkendes, quäkendes, glühweinseliges = schönes und familienfreundliches Tohuwabohu? „Jau!“, ruft eine Frau aus der Schlange vor der Bratfischbude. „Auf der Kirmes muss keiner den Schein wahren und auf Kommando funktionieren! Hier ist es bunt, laut und lecker – hier hast du deinen Spaß, und keiner guckt beleidigt!“
Die Motivation zum Besuch des Marktes stellt sich sicherlich heute anders dar als im Jahre 1550. Aber die Zeiten waren damals wohl auch nicht besser. Vielleicht ein wenig überschaubarer. In unseren Tagen schwingt eine gehörige Portion Nostalgie mit und Sehnsucht nach dem vorgenannten Überschaubaren, Gewohnten, in dessen schützenden Armen der Glühwein (und das Leben) eben noch so schmeckt wie in der guten alten Zeit (wann auch immer die war). So wie früher also … obwohl der Punsch auch damals schon ein ausgemachtes Magenvernichtungsmittel war.
Also „nur“ wehmütige Nostalgie? Nein! Das wäre langweilig. Bleibt zu hoffen, dass immer noch ein paar Tropfen Anarchie dabei sind und bleiben. Als Würze im bzw. als (Über)Lebensmittel.
RFG (Autor*in – schreibt künftig regelmäßig zum Zeitgeschehen)